Mit Herz und Fachwissen: 70 Jahre Lore-Agnes-Haus
Spezialkompetenz für Menschen mit psychischer Erkrankung
Text: Irit Bahle, Fotos: Eugen Shkolinkov
Das Lore-Agnes-Haus (LAH) der AWO Düsseldorf feiert in diesem Jahr ein Doppel-Jubiläum: Vor 70 Jahren, im Sommer 1955, wurde die Einrichtung als damals erstes Altenheim der AWO Düsseldorf eröffnet. Anfang der 1980er Jahre erfolgten ein Umbau und eine wesentliche konzeptionelle Umgestaltung: Der damalige Kreisgeschäftsführer und spätere langjährige Vorsitzende Karl-Josef Keil ließ das Haus in die modernste Einrichtung der AWO Düsseldorf umgestalten. Nach einer Modellphase wurde das LAH 1985 als gerontopsychiatrische Facheinrichtung anerkannt und wiedereröffnet. Es ist noch immer die einzige dieser Art in Nordrhein-Westfalen. 99 ältere Menschen mit einer psychischen Erkrankung leben hier in familienähnlichen Wohngruppen zusammen, betreut unter anderem von Pflegefachkräften, Alltagsbegleiter*innen, Sozialarbeiter*innen und Ergotherapeut*innen.
„Das Lore-Agnes-Haus ist für die Menschen ein Zuhause. Ziel ist nicht die Genesung, sondern möglichst viel Autonomie und Lebensqualität“, sagt Einrichtungsleiterin Yvonne Gimborn. „Ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen, die nicht alleine leben können, sollen nicht ewig in einer Klinik bleiben, und in regulären Altenheimen sind sie auch nicht richtig aufgehoben. Wir sind darauf spezialisiert und haben die Kapazitäten für die nötige Unterstützung.“
Betreuen und fördern statt behandeln
Im Vordergrund steht, möglichst viel Selbstständigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen, erklärt Christian Winter, Hauptabteilungsleiter für Senior*innenarbeit bei der AWO VITA. Die AWO VITA gGmbH betreibt die vier Senior*inneneinrichtungen und die ambulanten Wohngemeinschaften der AWO Düsseldorf. Im LAH gibt es viel Alltagsbetreuung, Freizeitgestaltung und Begleitung. Ärztliche und psychiatrische Versorgung kommt ins Haus. „Bei uns leben ältere Menschen mit einer großen Bandbreite psychiatrischer Veränderungen; Suchterkrankungen, Schizophrenie, Psychosen, Depressionen – oft haben sie mehrere Diagnosen auf einmal“, erklärt Winter. „Viele kommen aus psychiatrischen Kliniken wie dem LVR-Klinikum in Grafenberg zu uns, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Das Lore-Agnes-Haus ist eine sogenannte Enthospitalisierungseinrichtung, in der die Menschen nicht behandelt, sondern betreut und in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden.“
Die Einrichtung soll so weit wie möglich auch in das Leben im Stadtteil eingebunden sein. Der großzügige Garten schließt direkt an den öffentlichen Park an. Das „Wiener Café“ bietet den Bewohner*innen eine Möglichkeit, sich zu betätigen und soll künftig an bestimmten Tagen für alle Menschen aus dem Stadtteil geöffnet werden. Ziel sei es, die Menschen im Quartier einzubinden, auch um das Verständnis für die Einrichtung und ihre Bewohner*innen zu stärken, so Yvonne Gimborn: „Die Öffentlichkeit kann man für das Thema gar nicht genug sensibilisieren.“
Aufbau langfristiger Beziehungen
Die 99 Betten im Lore-Agnes-Haus sind immer belegt, erzählt sie. „Wir haben Bewohner*innen, die schon seit 20 Jahren hier leben.“ Das liege auch an dem vergleichsweise niedrigen Altersdurchschnitt. „Altern beginnt in der Psychiatrie bedingt durch Medikamente oder Suchterkrankungen oft früher. Bei uns leben viele Menschen, die erst 50 oder 60 Jahre alt sind,“ so Christian Winter. „Dadurch haben wir hier einen anderen Alltag. Es geht weniger um körperliche Pflege als vielmehr um soziale Betreuung und Teilhabe am Leben. Wir bauen sehr langfristige Beziehungen zu unseren Bewohner*innen auf.“
Ein hoher Personalschlüssel und Fachkräfteanteil sowie die Beteiligung sozialer Dienste erlauben die intensive und spezialisierte Betreuung – ein Alleinstellungsmerkmal des Lore-Agnes-Hauses. Möglich ist das durch eine Doppelfinanzierung von Landschaftsverband Rheinland und Pflegeversicherung.
Enthospitalisierung als Ziel
Einige der Bewohner*innen haben vorher im Paul-Gerlach-Haus (PGH) gelebt. Mit dem PGH betreibt die AWO Düsseldorf eine weitere Einrichtung für chronisch psychisch erkrankte Menschen im Sinne der Enthospitalisierung. Auch hier leben die Menschen langfristig und umfänglich betreut. „Wenn sie älter und pflegebedürftig werden, können sie zu uns ins Lore-Agnes-Haus umziehen“, erklärt Christian Winter. Auch die andere Richtung ist offen und wird gefördert: „Bewohner*innen können soweit mobilisiert und psychisch stabilisiert werden, dass sie wieder ausziehen und betreut-eigenständig leben können, zum Beispiel in einer Pflege-WG“, ergänzt Yvonne Gimborn.
Zum Alltag im LAH gehören neben der Unterstützung in der Lebensgestaltung auch Kriseninterventionen und die Begleitung in akuten Phasen, beispielsweise bei einer Manie oder Depression, so die Einrichtungsleiterin. „Das können manchmal schwierige Situationen sein. Darauf muss man sich einlassen können und die Menschen da abholen, wo sie im Augenblick stehen.“ Eine Arbeit, die aber auch viel Dankbarkeit erfährt, betont sie. „Man weiß, dass man was richtiggemacht hat, wenn zwischendurch jemand den Kopf ins Büro steckt, nur um zu sagen: Schön, dass Sie da sind!“
Info: 70 Jahre Lore-Agnes-Haus
Das Lore-Agnes-Haus gehört zu den ältesten Einrichtungen der AWO Düsseldorf und war die erste Senior*inneneinrichtung des Düsseldorfer Kreisverbands. In den 1970er Jahren kamen im Zuge der Psychiatrie-Enquête viele Patient*innen aus der Rheinischen Landesklinik (heute LVR-Klinikum) in die Alten- und Pflegeheime, besonders viele ins Lore-Agnes-Haus.
Die Psychiatrie-Enquête war ein umfassender Bericht der damaligen Bundesregierung über die Lage der Psychiatrie in der BRD, in deren Folge grundlegende Reformen eingeleitet wurden. Wichtige Ziele waren die Enthospitalisierung von Patient*innen durch mehr ambulante und gemeindenahe Versorgung, Entstigmatisierung und Stärkung der Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Das Lore-Agnes-Haus, das schon lange gerontopsychiatrische Patient*innen aus dem Klinikum aufnahm und bald überwiegend Bewohner*innen mit psychiatrischen Diagnosen hatte, spezialisierte sich. Nach einer Modellphase wurde es im Jahr 1985 als gerontopsychiatrische Facheinrichtung anerkannt. 2010 wurde das Haus umgebaut und durch einen Anbau erweitert.
Benannt ist die Einrichtung nach Lore Agnes (1876–1953), die als Politikerin und Leitfigur der frühen Frauenbewegung auch eine der Persönlichkeiten war, die die AWO Düsseldorf in der Zeit des Nationalsozialismus unter großen Gefahren am Leben gehalten haben.