„Viel mehr als ein Ehrenamt"
Junge Helfer*innen in der Jugendwohngruppe (JWG) Derendorf

Wenn jemand ein Ehrenamt übernimmt, kann viel passieren: Es können Freundschaften entstehen, eine neue Berufsperspektive kann entdeckt werden, man kann Neues über sich selbst und die Welt herausfinden und damit sogar andere anstecken. So ist es zumindest Ina Ripken und Tobias Quessel ergangen, seit sie vor rund drei Jahren angefangen haben, sich in der Jugendwohngruppe Derendorf ehrenamtlich zu engagieren. Die zwei jungen, berufstätigen Erwachsenen unterstützten einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten – und sind selbst ein wenig überrascht davon, was sich daraus entwickelt hat und wie viel ihnen das gibt.
Eine sinnhafte Tätigkeit
Am Anfang haben sie dem heute 19-Jährigen wöchentlich Nachhilfe in Mathe und Deutsch gegeben, mit der Zeit ist daraus eine Freundschaft entstanden, erzählen sie. Für beide war es das erste Ehrenamt, für beide stand der Wunsch nach einer sinnstiftenden Tätigkeit im Vordergrund. Den ersten Kontakt haben sie zur Initiative Ehrenamt der AWO Düsseldorf aufgenommen. Im Rahmen einer Beratung wurde geklärt, was sie sich vorstellen können, wie viel Zeit sie mitbringen, wo sie gut hinpassen würden. Bei einer Fortbildung für Ehrenamtliche haben sie sich kennengelernt, heute sind sie befreundet. Der junge Mann ist in der Zwischenzeit aus der Jugendwohngruppe ausgezogen, aber die Freundschaft hat gehalten. Zu dritt unternehmen sie immer noch viel; kochen zusammen, gehen Eis essen, klettern, spielen Badminton. „Das ist viel mehr als ein Ehrenamt“, sagt Ina Ripken.
Tobias Quessel ist von Beruf Software-Entwickler. Über seinen Wunsch, anderen zu helfen, hat er während der Corona-Pandemie mit einem Coach gesprochen, der ihn auf die Idee brachte. „Mir wurde schon oft gesagt, ich soll was mit Menschen machen, weil mir das liegt, aber ich wusste nicht genau, was das bedeutet.“ Das hat er durch sein Ehrenamt herausgefunden und deshalb will er weitermachen, sogar die Stunden seiner Lohnarbeit reduzieren. Ina Ripken hat in der Zwischenzeit angefangen, Soziale Arbeit zu studieren. Die 26-Jährige hat eine kaufmännische Ausbildung im Gesundheitswesen absolviert und arbeitet neben dem Studium in ihrem ersten Beruf. „Das ist nicht die richtige Arbeit für mich“, erzählt sie. „Ich habe nach etwas Sinnhaftem gesucht und bin über eine Freundin, die ehrenamtlich tätig ist, auf die Idee gekommen, es auch auszuprobieren.“
„Ohne Ehrenamtliche geht es nicht“
Ein Glücksgriff für alle, wie Jugendwohngruppenleiter David Heuel betont. „Manchmal passt es einfach und dann entsteht eine Beziehung, die auch über die Nachhilfe oder die Jugendhilfe hinaus besteht. Davon profitieren alle. Für die Jugendlichen ist es großartig, wenn sie auch nach dem Auszug aus der Wohngruppe noch jemanden haben, der mit beiden Beinen im Leben steht und sich hier auskennt.“ Sozialpädagogin Antonella Yavuzer ergänzt: „Ohne Ehrenamtliche wie Ina und Tobi geht es nicht.“ Sie ist eine von sechs Mitarbeiterinnen in der JWG in Derendorf, die abwechselnd einzeln im Dienst sind. Sie könnten so vor allem Gruppenaktivitäten unternehmen, wohingegen die Ehrenamtlichen sich mit einzelnen Jugendlichen beschäftigten können. „Nachhilfe ist unfassbar wichtig, aber es geht auch darum, das Leben in Deutschland zu verstehen. Dafür braucht man Kontakte, die verlässlich sind, zusätzlich zu denen innerhalb der Jugendwohngruppe“, so Antonella Yavuzer. Die Ehrenamtlichen brächten die Jugendlichen auch auf ganz neue Ideen und Hobbies, den besten Fußballplatz, oder wo man kostenlos ins Museum gehen kann. „Unsere Jugendlichen sind alle alleine nach Deutschland gekommen. Leute kennenzulernen, die hier aufgewachsen sind, ist sehr schwierig, aber total wichtig“, erklärt David Heuel. „Und wenn es passt, kann etwas entstehen, das hält.“
Engagement, das ansteckt
Und etwas, das offenbar auch auf andere abfärbt, denn seit kurzem helfen zwei Jugendliche aus der Wohngruppe einer älteren Dame aus der Nachbarschaft ehrenamtlich beim Einkaufen. Als Susanna Schön von der Initiative Ehrenamt der AWO Düsseldorf sich mit der Idee an die Einrichtung gewandt habe, hätten zwei der jungen Bewohner gleich gesagt: „Wir bekommen hier so viel Hilfe, wir machen das“, erzählt Antonella Yavuzer gerührt. Einer von ihnen erzählt stolz: „Es macht mir Freude, ihr zu helfen. Wir lachen viel zusammen. Meine eigene Oma ist gestorben und jetzt ist sie wie meine Oma.“
Ina Ripken und Tobias Quessel sind sich einig: Es kann sich etwas entwickeln, womit man nicht rechnet, wenn man die Zeit und Bereitschaft mitbringt. Und man bekommt selbst viel: Dankbarkeit, Austausch, neue Perspektiven, Wissen über Kulturen. Auch David Heuel kann Interessierte nur ermutigen: „Es braucht den Willen was Gutes zu tun, ohne finanziell entlohnt zu werden, dann bekommt man sehr viel zurück. Wenn man dazu Lust hat, muss man nur den ersten Schritt tun und zum Telefon greifen und dann wird es was Passendes geben.“
Irit Bahle